Jagen in Deutschland – das heißt Brauch, Sitte und Pflichterfüllung, also Tradition bei der Jagd.
Doch wie sinnvoll ist es, nur aus Tradition traditionell zu sein? Ein Plädoyer für ererbtes Brauchtum nach modernem Zuschnitt.
Moderne vs. Tradition – Ein Widerspruch?
Paul balanciert modisch auf einem schmalen Grat. Irgendwo zwischen Müllabfuhr und Spezialeinheit – so würde ihn der nichtsahnende Beobachter wohl einordnen. Auf seinem Rücken eine superkurze, knallgelbe „Ballerkatze“ mit Mündungsbremse. Die gelbe Polyacryl-Uniform spannt kompakt um seine kräftigen Schultern, an seinem Gürtel baumelt eine Klinge, eines
Kreuzritters würdig. Paul ist der jagende Vollprofi von heute, selbst seine glimmende Marlboro sieht mehr nach Arbeit aus als nach Entspannung. Paul ist ein Waldkrieger. Seine Hunde sind versorgt. Er steht am Feuer, ein leuchtender Fixstern, doch irgendwie abwesend, zwischen all den vornehmen Landjunkern und Großstädtern.
Tradition bei der Jagd – Romantische Verklärung?
Beschlagene Hornbrillen, nasser Tweed, teure Doppelbüchsen – hier wirkt Paul wie ein Fremdkörper. Sie trinken Tee und reden übers Geschäft . Von all dem versteht Paul nichts. Er steht allein da, Rauchen ist stille Unterhaltung, Warten auf den Wildwagen, Business as usual. Fast sehnsüchtig sieht er dem Berg Arbeit entgegen, der nun auf ihn zurollt. Als Berufsjäger fällt ihm das Privileg zu, so schnell wie möglich 14 Stücke aufzubrechen. Wortlos, sauber und schnell muss das gehen, mit Handschuhen, und dann ab damit in die dreistufige Kühlkammer der Gutsverwaltung.
Auf die Strecke kommt nur noch ein Alibi-Frischling. Die Ansprache des Jagdherrn ist derweil eine romantische Verklärung, wie so oft . Der lobt die Disziplin der Schützen, sogar das grausige Wetter bekommt noch eine Streicheleinheit. Doch die Stücke sind nicht alle richtig. Es liegen ein paar Bachen. Einige Ricken und Alttiere waren führend, und es wurde nicht sauber geschossen.
Diszipliniert war in allererster Linie Paul. Der hat sich durchs Dickicht gekämp , hat abgefangen, geborgen und versorgt. Er hat Stücke gefunden, die andere gar nicht nachgesucht hätten. Seine Performance – tadellos, seine Kluft – ein klarer Affront gegen Sitte und Brauchtum. Dann wird die Mini-Strecke gelegt. Nach alter Väter Sitte – nur etwas anders eben. Für einige ist das seltsam, andere tragen ihren Bruch mit Fassung. Jagdkönig ist Paul, dem das Ganze etwas peinlich zu sein scheint. Er nimmt Haltung an, dankt seinem Dienstherrn, um sich dann klaglos bei den Bläsern einzureihen und die alten Signale voller Inbrunst ins Horn zu stoßen.
Früher standen sie hier alle ganz in Grün, ohne Hutband, dafür mit alten 98ern und Sitzstöcken. Heute wird von erhöhten Ständen gejagt, Leuchtpunktvisiere und Geradezugrepetierer beherrschen das Feld. Früher hatten hier etliche am Mittagsplatz schon die Lampen an, heute kreist kein Schnaps vorm Halali. Apropos – das Abblasen war früher ein Signal – und ist heute eine Uhrzeit. Früher wurden Anschüsse mit kryptischen Reisig-Haufen verbrochen, heute genügen Anruf und Signalband. Es gibt Traditionen, die zunehmend sinnlos erscheinen. Und es gibt Neuheiten, die sich selbst bei den ganz konservativen Jägern durchgesetzt haben. Erst kam die Keule, dann Pfeil und Bogen – und schließlich die R93.
Die Tradition bei der Jagd ändert sich
Aber verschwunden ist es nicht. Geblieben sind die Fehler. Fahrlässige und vorsätzliche. Es gibt gute und schlechte Schützen, tolle und schlimme Tage, waidgerechtes und sittenwidriges Jagen – früher wie heute. Noch immer sind mit dem deutschen Jagdrecht die Grundsätze der Waidgerechtigkeit verbunden, untrennbar. Und Brauchtum und Tradition? Dort, wo sie uns nicht unnötig angrei ar machen, bleiben auch sie weiterhin sinnvoll.
Einige Beispiele:
• Traditionen, wie das Verblasen der Strecke und die Bruchvergabe, mögen anmuten wie vorsint utliches Bauerntheater. Doch schaden sie nicht, und einen höheren Sinn haben sie durchaus: Sie helfen uns, inne zu halten, über unser archaisches Tun nachzudenken und den Schöpfer im Geschöpfe zu ehren.
• Moderne Wildbrethygiene ist gesundheitsrelevant, zudem verdient ein Spitzenprodukt auch eine Spitzenbehandlung.
• Wer in Knallbunt seinen Stand einnimmt, der ist vielleicht dem alten Jagdherrn ein Dorn im Auge, der Sau aber fällt er nicht weiter auf – reine Geschmackssache also.
• Ein Keulenschuss aus einer Doppelbüchse tut ebenso weh, wie aus einem Vollernter. Entscheidend ist seit Jahrhunderten nur eins: Wer führt die Waffe?
Bruno Hespeler, ein Detektiv der deutschen Jagdkultur, definiert vier Gruppen von Tradition bei der Jagd:
1. Vergessene Bräuche. Ein Beispiel ist die Hubertusmesse, ein kurzer Kirchengang, der das anschließende Sonntagstreiben auch vor Gott legitimierte, aber dennoch heute in Vergessenheit geraten scheint.
2. Verbrauchte Bräuche. Schalenwild mit Hautgout zu verkaufen, ist ein Klassiker mieser PR für die ganze Jägerschaft .
3. Brauchbares, das zu Brauchtum wurde. Früher nutzte man Bruchzeichen aus Fichtenzweigen, heute zieren sie nur noch den Streckenplatz.
4. Noch immer brauchbare Bräuche. Ein gutes Beispiel ist die berühmte Zigarettenlänge nach dem Erlegen eines Stücks.
Tradition bei der Jagd – Was nützt es?
Die Frage ist, was schadet mehr, als es nützt? So mag es manchem seltsam vorkommen, dass Paul, der Waldkrieger, schnell schießt und dabei schillert wie ein Popstar. Er braucht aber diese Ausrüstung für ein schnelles, gründliches und dennoch waidgerechtes Arbeiten. Leute wie er, mit modernem Fachwissen und angeborener Liebe zur Natur, sind es, die für ein jagdliches Brauchtum von morgen stehen.
Für ein Brauchtum, das sich heutigen Erkenntnissen anpasst und unsere uralte Jagdpassion doch nicht verleugnet. Für den ehrlichen Gegenentwurf zum verlogenen „Wildtiermanagement“. Denn ein ursprünglicher Trieb erträgt auch ursprüngliche Rituale, aber eben dort, wo sie noch immer sinnvoll sind.
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